Anmerkungen zu den neuen Arbeiten Brigitte Bailers

Die künstlerische Entwicklung Brigitte Bailers ist seit einigen Jahren geprägt durch eine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten, Material- und Oberflächenqualitäten ihrer bevorzugten Werkstoffe Stahl und Papier in Kombination mit Malerei. Parallel zu ihren vielfältigen Materialexperimenten lässt sich in ihren neuesten Werken eine konsequente Abwendung von bislang noch unterschwellig vorhandenen Konzeptionen konstatieren, die eine figürliche Lesbarkeit oder auch Naturassoziationen nahe legten. Nicht die Nachahmung existierender Formen der Natur bestimmt die künstlerische Arbeit, sondern die Erarbeitung eines eigenständigen Formvokabulars, das sich eher an der Prozesshaftigkeit der Natur orientiert, als deren Formen nachschaffen zu wollen. Anmutungen von Figürlichkeit oder Landschaftlichem mögen sich noch einstellen wenn sich der Betrachter assoziativ auf einen Dialog mit den Bildern einlässt, die sich aber auch als rein abstrakte Kompositionen lesen lassen.

Als übergreifendes Prinzip in den Arbeiten der Jahre 2005 bis 2007 lässt sich das Prinzip der Collage ausmachen: Real als aus verschiedenen Materialien wie Papier, Wellpappe, Leinwand und Stahlblech zusammengesetzte Kompositionen oder auch als nur gedachte Organisationsform von Malerei, die sich immer mehr dem Sichtbarmachen von Prozessen öffnet. In den Papiercollagen, in denen verschiedene Materialien aneinandergefügt, übereinander gelegt oder ineinander verschoben sind, spielt Brigitte Bailer sehr sensibel mit geometrischen Formen und freiem malerischen Duktus. Sparsamste Farbspuren ergänzen und verklammern die gerissenen Pappen und sich kräuselnden Papiere zu einer gestalterischen Einheit, die bei aller formalen Freiheit immer wieder Anklänge an geometrisch-abstrakte Komposition durchscheinen lassen. Spielerisch, dem Zufall und der Intuition weiten Raum lassend, bleibt noch in den freiesten Collagen, in denen verschiedenste Materialien ihre Wirkung entfalten, ein künstlerischer Formwille spürbar, der sich eher an der Ästhetik der lyrischen Abstraktion orientiert als an der ungestümen Malerei des Informel.
In der Serie der ?Sandbilder? kombiniert Brigitte Bailer rostige, unregelmäßig geschnittene Stahlbleche mit einer materialreichen Malerei, die mit Pigment- und Sandeinmischungen in Acrylemulsionen arbeitet. Automatische, von der Künstlerin nicht steuerbare Prozesse beim Rosten der der Witterung ausgesetzte Bleche verschmelzen mit einer Malerei, die den gegebenen Strukturen, Formen und Linien nachspürt, sie ergänzt oder auch kontrapunktische Akzente setzt. In Diptychen nutzt sie die spiegelbildliche Komplementarität der Metallplatten, die während des Rostungsprozesses übereinander gelegen haben und deren Spuren, Verästelungen und Linienspiel sich über beide Platten fort spinnen. Der natürliche Korrosionsprozess entfaltet ein phantastisches Bildangebot mit vielerlei landschaftlichen oder figürlichen Anmutungen, denen sich der Betrachter nur assoziativ nähern kann. Weniger der Kontrast der vom Menschen gemachten mit der von der Natur generierten Form, denn das nach harmonischem Ausgleich strebende Sich-Herantasten an eine Balance zwischen beiden ist das künstlerische Ziel dieser Werkgruppe.


In ihren Malereien auf gerostetem Blech wie auch in den Fundstücken von Eisenschlacken aus der Stahlproduktion beschränkt sich Brigitte Bailer auf sparsame malerische Akzente oder sie belässt das Vorgefundene ohne Änderung. Diese ?objet trouvés? bieten dem aufmerksamen Betrachter phantastische Formen und Figuren, denen sich die Künstlerin sehr behutsam nähert, malerische Ergänzungen des Vorhandenen anfügt, Akzente durch Polieren setzt oder auch durch Anfügen eines Tuchs die figurative Assoziation festlegt. Das Prozessuale in der Natur, die kaum wahrnehmbare Veränderung von Zuständen, findet zunehmend das Interesse der Künstlerin. In der Installation ?Agave? wird dieser meditative Aspekt ihrer malerischen Arbeit ins Räumliche gesteigert. Die Projektion einer vom Wind sanft bewegten Waldszenerie wird mit einer im Raum inszenierten abgestorbenen Agavenblüte kombiniert. Es entsteht ein Spiel von Schattenwirkungen, von Statischem und Bewegtem, das zur meditativen Kontemplation einlädt; in gewisser Weise eine räumliche Collage, die sich an alle Sinne des Betrachters richtet.

In ihren neuen Arbeiten nimmt sich Brigitte Bailer die Freiheit vielfältiger Experimente, in denen sie sich als Künstlerin zum Teil zurücknimmt zugunsten der Eigensprachlichkeit der von ihr eingebrachten Materialien.
Das Spiel der Formen, Strukturen und Oberflächen bringt eine Bildsprache hervor, die gleichwohl immer kontrolliert, ausgewogen und harmonisch bleibt.

Sepp Hiekisch-Picard





Malerei und Material: Überlegungen zu den Arbeiten von Brigitte Bailer


Das Werk der Dortmunder Künstlerin Brigitte Bailer umfasst sechs Arbeitszyklen: WERKE IM WERK, SPUREN, FARBRÄUME, NICHT NUR ROT, SEQUENZ BLAU, PAPIERARBEITEN.

Die unermüdliche Auseinandersetzung mit diesen Bildsequenzen ist Brigitte Bailers künstlerisches Konzept. In der bildnerischen Transformation sucht und entwickelt die Künstlerin Variationen ihrer Themen, subtil erweitert und verändert sie ihr Formenvokabular, analysiert Bildideen, differenziert und entwickelt sie in Phasen kontinuierlich weiter.

Dabei steht ihr künstlerisches Arbeiten sicherlich in einer Tradition der Nachkriegsmoderne, in der sich das malerische Verfahren als solches, die Materialität von Farbe, das Experimentieren mit unterschiedlichen Materialien und das Aufbrechen tradierter Formvorstellungen zu künstlerischen Problemstellungen verbunden haben. Die Künstler des Informel haben sich in ihrer Arbeit nicht nur gegen jegliche Gegenständlichkeit im Bild ausgesprochen, sondern auch gegen eine bereits als akademisch empfundene geometrische Abstraktion. An die Stelle der Ausführung einer vorgefassten Bildkonzeption trat der vom Augenblick bestimmte Vollzug des Malvorgangs, dessen Spuren schließlich das Bild konstituierten. An diese künstlerische Haltung knüpft Brigitte Bailer in ihrer spezifischen Ausdrucksweise an und entwickelt daraus ihre persönliche, auf Strukturen ohne Abbildungsanspruch reduzierte, abstrakte Bildsprache. Form und Farbe konstituieren völlig gleichwertig das malerische System. Im mehrschichtigen Malprozess entstehen überwiegend unregelmäßig verlaufende Streifen- und frei geometrische Flächenformen sowie diese aufgreifende und fortführende Linienverläufe, die die Bildfläche in sich verzahnende Elemente gliedern. So entwickeln sich, ohne konkreten Gegenstandsbezug, Verbindungen oder Brüche, Aspekte von Nähe und Ferne, Ruhe und Bewegung, die in jedem Bild den eigenen Rhythmus aufbauen und transportieren. Im Zyklus FARBRÄUME entstehen Bildkompositionen aus dem Übereinanderlagern von Farbflächen. Rhythmisch strukturierte Pinselstriche, differenzierter Farbauftrag, in chromatischen Verläufen, weiche Pinselführung im Gegensatz zu gekratzten oder gespachtelten Partien, Brigitte Bailer arbeitet mit unterschiedliche Techniken, die die Bildfläche in spannungsreiche Beziehungen zueinander setzen. In Segmente untergliedert, entstehen farbige Gewichte und Schwerpunkte und durch die Verarbeitung von Sand und Chinapapier erscheint die Oberfläche an manchen Stellen geradezu körperhaft präsent. Kleine Grate und Furchen, knittrig verworfene Partien und aufgeworfene Kanten entstehen, so dass die Bildoberfläche hier reliefartig hervortritt und die Farbe in ihrer räumlichen Ausdehnung und Kraft haptisch erfahrbar wird. Die Bildoberflächen animieren zur Entdeckungsreise. Man glaubt fast, die Erhöhungen und Vertiefungen mit den Fingerkuppen spüren zu können. Es geht der Künstlerin darum, in dieser malerisch erzeugten Oberflächenbewegung die angelegten Farbebenen so miteinander zu verweben, dass räumliche Vorstellungen evoziert werden. Die Linie unterstützt diese Räume im Bild, stellt Beziehungen her, zeichnet einen unterstützenden Rahmen, sie ist aber auch im freien Spiel ihrer Dynamik überlassen. Andererseits balanciert sie Bildelemente aus oder führt sie fort.

Brigitte Bailers Bilder sind dabei nicht Resultat einer im Detail vorausschauenden, gestalterischen Planung, sondern entstehen aus einer künstlerischen Haltung, die der spontanen Eingebung und dem Zufälligen während des gesamten Arbeitsprozesses Entfaltungsspielräume öffnet. Jedes Bild lässt ein Dialogfeld entstehen, in dem sich der künstlerische Prozess immer wieder neu entfaltet: zufällig Entstehendes, dessen Erkennen, spontanes Aufgreifen und das Weitergestalten korrespondieren miteinander und verflechten sich zu einem spannungsreichen Bildgefüge. In diesem werden die zahlreichen, nacheinander vollzogenen Arbeitsschritte vom Betrachter simultan wahrgenommen. Er schafft, wie Paul Klee es nannte, Teile des Bildes nach, erfährt die räumlichen Bezüge der Bildelemente zu einander und erlebt ihre atmosphärische Wirkung. In der Gesamtheit ihrer vielfältigen Verflechtungen wird so die Komplexität als eine Ganzheit erfahrbar.

In den Zyklen NICHT NUR ROT und SEQUENZ BLAU untersucht die Künstlerin malerisch die spezifischen Wirkungen dieser beiden Farben. Dabei fließen die mit diesen Farben seit Jahrhunderten verbundenen symbolischen, psychischen und optischen Assoziationen mit in die künstlerischen Fragestellungen ein. Unser Wort ?Farbe? geht auf das Althochdeutsche ?fawara? zurück, und das meinte ursprünglich ganz allgemein Eigenschaften und Aussehen eines Dings oder Wesens. In Brigitte Bailers Malerei hat sich die Farbe gewissermaßen von diesen gegenstandbezogenen Assoziationen befreit und die Malerin macht sie zum eigenständigen Geschöpf. ?Farben?, sagte Cezanne ?steigen von den Wurzeln der Welt auf und sind der Ausdruck dieser Tiefe an der Oberfläche.? Cezanne sah in Farben ?leibhafte Ideen und Wesen? und in diesem Sinn geht es der Künstlerin darum, in der Malerei durch die körperlich-räumliche Präsenz das Wesen der Farbe und die damit verbundenen unterschiedlichen archetypischen Konnotationen zutage zu fördern. Rot und Blau sind Farben mit vielfältigem inhaltlichen Ausdruck und Bedeutungsebenen. Zwischen Rot und Blau, diesem Kalt-Warm-Dialog, pendelt gewissermaßen das Leben.

Blau - überwältigende Nähe und schrecklich unerreichbare Ferne ? dieses Mysterium bedeutete in alten Kulturen wie Ägypten: Gegenwart der Götter, es bedeutet aber auch Ruhe, Rückzug, Meditation, in seiner Intensivierung und dramatischen Zuspitzung kann es sich zum Phlegma verdichten, es erinnert an Kälte, ist die Farbe des Meeres und des Himmels, der Tiefe und Weite. Ernst Jünger nennt Blau ?die Farbe der äußersten Orte und der letzten Grade, die dem Leben verschlossen sind.?

Rot ist dagegen die Farbe des Feuers, der Wärme, Kraft, Aktion, Macht und Gewalt, des Blutes, der Dynamik, Bewegung, des Wachstums und der Liebe. Seine Bedeutung umfasst eine große Spannweite von positiven und negativen Assoziationen.

Brigitte Bailer bringt die Tastatur dieser Farbqualitäten in ihren Arbeiten nuancenreich zum Klingen. Auch hier verbindet sich die Farbe mit anderen Materialien: eingearbeitetes bzw. collagiertes Chinapapier oder auch Glasstücken und Blattgold, die in einigen Kompositionen der SEQUENZ BLAU integriert sind. Die Malerin entwickelt die Farbe zu gegenstandsunabhängigen Formen, lässt sie Gestalt annehmen, sich ausbreiten, verweben und in die Tiefe sinken. Verbindungen und Übergänge, Brüche und Trennungen innerhalb dieser Farborganismen schaffen nicht nur innerbildliche Räume, sondern auch gedankliche Freiräume für die Assoziationen des Betrachters.

Wie schon ausgeführt, steht Brigitte Bailer in ihrer malerischen Bildgestaltung im weitesten Sinn in der Tradition des Informel. Ein anderer wesentlicher Ausgangspunkt ihres Arbeitens, so betont sie selbst, ist jedoch das Material, das sie in Kombination mit der Malerei erforscht und in neue bildnerische Lösungen transformiert. Charakteristisch für Brigitte Bailers Arbeiten ist deshalb vor allem die unermüdliche, spielerische Experimentierfreude, mit der sie Materialien wie Metall, Sand, Glas, Koks und andere Fundstücke in ihre Arbeiten integriert und mit dem Malerischen verbindet. Ein zentraler Aspekt ihrer Denk- und Arbeitsweise steht deshalb im Kontext des Materialbildes.

Materialbilder sind eine schon seit dem Kubismus und Dadaismus praktizierte künstlerische Technik, bei der Materialien, die aus nichtkünstlerischen Bereichen stammen, mit bemalten Untergründen kombiniert oder auch ohne eigentlichen Bildgrund zu künstlerischen Kompositionen zusammengefügt wurden.

Brigitte Bailer rekurriert insbesondere auf das Werk des spanischen Künstler Antoni Tapies. In seiner Frühzeit vom Surrealismus und Paul Klee beeinflusst, begann er Ende der vierziger Jahre seine Materialbilder mit Sand, Holz, Fäden, Leinen, Stroh u.a. zu entwickeln.

?Wie der Forscher in seinem Labor nehme ich als erster die Anregungen wahr, die der Materie entrissen werden können. Ich entlocke ihr Ausdrucksmöglichkeiten, auch wenn ich anfangs keine ganz klare Vorstellung habe, worauf ich mich einlasse. Während der Arbeit formuliere ich gleichsam meine Gedanken; aus dem Kampf zwischen Wollen und vorhandenem Material entsteht ein Gleichgewicht von Spannungen.?, formulierte Antoni Tapies 1967 seinen Ansatz, Materialien nicht in eigener Sache ins Bild zu bringen, sondern sie auf ihre bildnerischen Eigenschaften hin sozusagen ?abzuklopfen?. Im Bild sind sie nichts Buchstäbliches, sondern Spuren und Symptome einer Natur, oder wie er es selbst sagte: des variablen Begriffs, den der Mensch sich von der Natur bildet. Tapies künstlerisches Arbeiten kreist um die Frage, wie es zu erreichen sei, die stumpfen Materialien der Wirklichkeit selbst in eine Ausdrucksformel für menschliche Wirklichkeit zu verwandeln. Dabei beruht die Wirkung seiner Kunst nicht zuletzt auf dem Phänomen, dass die einzelnen Arbeiten sich trotz ihres hohen Abstraktionsgrades als Zeugnisse eines unmittelbaren Dialogs des Malers mit der Wirklichkeit darstellen.

Auch die Dichte der Arbeiten von Brigitte Bailer resultiert aus dieser ganz konkreten Auseinandersetzung mit der Materie. Sie setzt den Werkstoff Metall, der uns Menschen in unterschiedlicher Form durch das Leben begleitet, in ihrem Zyklus WERKE IM WERK als ein Material ein, das seine eigene, mit dem Menschen verbunden Geschichte in sich trägt. Dem natürlichen Prozess des Rostens im Freien über einen längeren Zeitraum ausgesetzt, entstehen individuelle Spuren und Ablagerungen. Die so von Rostspuren gezeichneten Platten werden in ihrer Form zu unterschiedlichen Flächen zurechtgeschnitten, auf Leinwand platziert und somit selbst zum Ausgangspunkt der Malerei. Malerische Flächenverteilungen, Farben und Strukturen nehmen hier ihren Anfang und entwickeln sich aus dem direkten Dialog mit dem Material, den die Künstlerin initiiert. Dabei ist für den Zugang zu diesen Materialbildern die individuelle Disposition und der persönliche Erfahrungsschatz des Betrachters wichtiger, als diese Werke auf verbindliche Inhalte festzulegen. Vielmehr geht es der Künstlerin um die taktilen, sinnlichen Impulse und die ästhetischen Möglichkeiten, die sich aus der Natur des Materials vor allem im Bereich von Struktur und Oberfläche für die Gesamtkomposition ergeben. Denn das Gleichsetzen des Metalls mit der malerisch-stofflichen Oberfläche führt zu Konfrontationen, die eigene visuelle und formale Gesetzlichkeiten besitzen. Hinzu kommen auch Experimente, wie die zufälligen Oxydationsprozesse von hauchdünnen Kupferplättchen, die in die malerisch gestalteten Flächen integriert werden. In dieser von Zufall und Kalkül gleichermaßen beeinflussten Korrespondenz zwischen Material und Malerei werden existenzielle Phänomene wie Raum und Zeit auf eine neue Weise erfahrbar gemacht. Im abtastenden Sehen offenbart sich die prozesshaft gewachsene Struktur. In der sukzessiven Überlagerungen von Formen und Farben wird Zeit erfahrbar durch die Kristallisation von Bewegung in Farbe: deutlich sichtbare Pinselspuren, ihre Absätze und Wiederholungen, fortlaufende oder unterbrochene Linienverläufe erzählen vom Bewegungsrhythmus ihrer Entstehung. Innerhalb dieses Zyklus ist außerdem eine Werkgruppe entstanden, bei der die Künstlerin als Malgrund selbst verzinkte Metallplatten einsetzt. Auf die glänzende, glatte Oberfläche trägt sie Pigmente auf, die sie in relativ trockener Konsistenz schnell verarbeitet. So entstehen Farbstrukturen und Spuren, die den spontanen Malgestus selbst darstellen. Die Malerei wirkt hier äußerst verletzlich, der Pinsel hinterlässt Farbspuren auf der spiegelnden Oberfläche, die zwischen Transparenz und Dichte oszillieren. In anderen Arbeiten dieser Reihe integriert Brigitte Bailer Linoldrucke auf Chinapapier, so dass ein verblüffender Spannungsbogen entsteht zwischen den unterschiedlichen Materialcharakteren des glatten, spiegelnden Metalls und der Transparenz des geknitterten, gerissenen und bedruckten Papiers.

Im Zyklus SPUREN führt Brigitte Bailer die Auseinandersetzung mit gefundenen Materialien fort und macht sie zu gleichwertigen Wirkungs- und Kompositionswerten: Pappe, Gips, Papier, Stoff, Sand, Koks bilden die haptischen Untergründe auf Leinwand oder Holz, gliedern die Bildfläche und verbinden sich mit der Farbe zu schrundigen, rauen, körnigen, gefurchten, glatten oder narbigen Oberflächenstrukturen. Es entstehen Kompositionen, in denen die unterschiedlichen Materialien in einem bildinternen Dialog miteinander stehen. Die eingefügten Materialien setzen sich im Bildgefüge zu einer neuen Einheit zusammen, denn im Kunstkontext transformiert sich das Fragment zu einem unlösbaren Teil der Wirklichkeit des Bildes selbst und verschränkt Innen- und Außenwelt zur Einheit. In dieser erlebt der Betrachter das eingesetzte Material in einer neuen, von seiner ursprünglichen Bedeutung losgelösten, sinnlichen Präsenz, die ihn zu einer assoziativen Einlassung auffordert.

Dies gilt ebenso für die Werkgruppe der PAPIERARBEITEN. Auch sie sind ein experimentelles Feld, in dem die Künstlerin auf unterschiedliche Weise Material und Strukturen mit Form- und Farblösungen verknüpft. Sie entwickelt ein besonderes Verhältnis von Raum und Fläche, indem sie beispielsweise verschiedene Qualitäten gerissener Papierstücke übereinander schichtet und mit wenigen Pinselstrichen hingeworfene Linien und Flecken kombiniert, die in ihrem Zusammenklang Assoziationen an Stadtlandschaften evozieren. Dabei ist die Fläche integraler Bestandteil der kompositorischen Spannungsmomente, die aus subtilen Irritationen und Dialogen leben. Lyrisch, sensibel zurückgenommen wirken diese Arbeiten, während andere sich collageartig aus eingefärbten und gerissenen Papierfetzen zu wogenden Farborganismen zusammensetzen.

Brigitte Bailers künstlerisches Schaffen basiert auf einem freien Dialog zwischen Material und künstlerischen Möglichkeiten. In ihrer Offenheit für die Impulse des Materials, wird der Formfindungsprozess weniger zur Konstruktion, denn zur Orchestrierung, zur Verwandlung, zur Umformung. Die Künstlerin ist dabei Katalysatorin, und Experimenteurin, Beobachterin und Akteurin in einem und führt vor Augen, wie ein Bild gleichzeitig abstrakt-kompositorische Verdichtung und welthaltige Vergegenwärtigung sein kann. Vielschichtig und spannungsreich sind die Antworten, die in den Werken der Künstlerin Gestalt annehmen und den Betrachter zur Auseinandersetzung auffordern.


Annette Quast, Kunsthistorikerin M.A., Hattingen